Landshut. Gießen ist ein mehrere tausend Jahre altes Verfahren, das heute bei der BMW Group zunehmend von High-Tech bestimmt ist: Die Leichtmetallgießerei im niederbayerischen Werk Landshut überwacht ihre hoch komplexe Fertigung seit kurzem mittels Business Intelligence, Predictive Analytics und künstlicher Intelligenz (KI) – und analysiert mit Hilfe von Big Data alle Gießvorgänge in Echtzeit. Die Landshuter Gießerei-Spezialisten können so nicht nur jederzeit eine vollumfängliche Datentransparenz sowie Datenvisualisierungen per Mausklick erzeugen, sondern auch Qualitätsvorhersagen treffen. Gleichzeitig erhöht sich die Wirtschaftlichkeit.
Im vergangenen Jahr fertigte die Leichtmetallgießerei des BMW Group Werks Landshut 4,3 Millionen Gusskomponenten mit einem Gesamtgewicht von 73.000 Tonnen. Zum Produktionsumfang zählen Motorkomponenten wie Zylinderköpfe und Kurbelgehäuse, Komponenten für elektrische Antriebe oder Strukturbauteile für die Fahrzeugkarosserie.
Völlig neue Chance durch künstliche Intelligenz und smarte Datenanalysen
„Künstliche Intelligenz und smarte Datenanalysen bieten völlig neue Chancen, die weit über unsere bisherigen Analysemöglichkeiten hinausgehen. Wir können damit unsere Gießerei intelligent managen und riesige Datenmengen schnell und zuverlässig auswerten“, sagt Nelly Apfel, Referentin für Data Science in der BMW Group Leichtmetallgießerei Landshut. „Dies sichert nicht nur die Premium-Qualität unserer Gussteile, sondern sorgt für mehr Effizienz im gesamten Wertschöpfungsprozess. Und es bietet gleichzeitig eine wichtige Entscheidungshilfe für Prozessverbesserungen.“
Tausende Parameter pro Gießvorgang
Grundlage hierfür sind Daten aus verschiedenen Systemen, in denen tausende Material-, Zustands- und Prozessparameter für jeden Gießvorgang und jedes einzelne Bauteil hinterlegt sind – angefangen von den Einflussfaktoren auf die formgebende Sandkerne über die Parameter der einzelnen Gießanlagen bis hin zu den Anlagen für die anschließende Bearbeitung der Guss-Rohteile. Allein bei den Sandkernen sind dies vielfältige Daten, zum Beispiel die Beschaffenheit des Sands, die Raumtemperatur und die Raumfeuchtigkeit, die Lagerzeit der Sandkerne oder die Verweildauer im temperierten Hochregallager. Hinzu kommen alle Parameter rund um den eigentlichen Gießvorgang, wie etwa die Temperaturkurven Dutzender eingebauter Thermosensoren, Druckkurven, Vakuumwerte, Taktzeiten, die Daten der jeweiligen Gießanlage (wie etwa Soll-Parametervorgaben), Daten des eingesetzten Gießwerkzeugs (wie etwa das Alter des Werkzeugs oder die Anzahl der durchgeführten Wartungen) – oder aber die Daten der Heiz- und Kühlkreisläufe. Diese steuern beim Gießvorgang die Erstarrung des bis zu 750 Grad heißen Flüssig-Aluminiums.
Damit Ursachenanalysen (sog. Root-Cause-Analysen) überhaupt durchgeführt werden können, bedarf es einer sauberen Datengrundlage. Dafür werden die Maschinen- und Prozessdaten mit Qualitätsdaten verknüpft und automatisiert so aufbereitet, dass sie in Echtzeit auswertbar sind. Zu den Qualitätsdaten zählen beispielsweise die dreidimensionalen Messdaten von Gussteilen aus dem Computertomograph. Anhand der 3D-Messungen werden eventuelle Fehlerbilder bei den Gussteilen ermittelt – von Porosität über Blasen bis hin zu so genannten Kaltläufen beim Erstarren des Metalls. Ebenfalls herangezogen werden Qualitätsdaten aus den Fahrzeug- und Motorenwerken der BMW Group, die Bauteile aus der Landshuter Leichtmetallgießerei weiter verarbeiten.
Erkennung von Wirkzusammenhängen mittels intelligenter Algorithmen
All diese verknüpften Daten werden dann mittels intelligenter Algorithmen analysiert und stehen den Gießerei-Experten unmittelbar in visualisierter Form zur Verfügung. „Datentransparenz hilft uns, Wirkzusammenhänge zu erkennen. Das ist für die Bauteilqualität wichtig. Und unsere Guss-Technologen können so für die einzelnen Gieß-Anlagen ein optimales Parameterset zusammenstellen“, erläutert Nelly Apfel. Um eine stabile und konstante Produktion sicherzustellen, kommt eine Parameterwert-Überwachung zum Einsatz. Sie überprüft kontinuierlich die freigegebenen Parameter, löst bei eventuellen Abweichungen selbsttätig Alarm aus – und stoppt Gießvorgänge bei Bedarf automatisch.
Überdies lassen sich mittels Machine Learning wiederkehrende Muster oder Auffälligkeiten in den Gießprozessen erkennen sowie anhand eventueller Fehlerbilder mit sehr großer Genauigkeit Qualitätsvorhersagen treffen (Predictive Quality). Reale Fehler im Produktionsprozess sind damit auf ein Minimum reduziert. „Wir scoren aus den Parametern, mit denen unsere Bauteile hergestellt sind, die Ausschuss-Wahrscheinlichkeit“, erklärt Nelly Apfel.
Darüber hinaus sieht die Daten-Spezialistin weitere Vorteile: „Das Visualisieren von entscheidenden Prozessparametern wie etwa Durchflüssen, Temperaturen oder Thermalbilder hilft nicht nur den Produktionsverantwortlichen, sondern ermöglicht auch frühzeitige Eingriffe seitens der Instandhaltung.“ Zwei Beispiele: Anomalien in den Temperaturverläufen können auf Defekte hindeuten, geringe Durchflusswerte auf Ablagerungen in den Kühlkreisläufen. „Das erhöht die Ausbringungen unserer Anlagen und damit die Wirtschaftlichkeit.“
Keine ausgeprägte IT-Kompetenz erforderlich
Ausgeprägte IT-Kompetenz ist für die Bedienung der intelligenten Datenlösung nicht erforderlich: Sie ist per Web App einfach auf dem Tablet oder Smartphone nutzbar. „Früher waren derart umfassende Datenanalysen nur mit aufwändigen manuellen Auswertungen und Prüfläufen möglich“, sagt Nelly Apfel.
Aktuell arbeiten sie und ihr Team bereits an einer neuen KI- Anwendung im Bereich Deep Learning. Über ein Neuronales Netz werden dabei Bilder von Gussteilen bewertet und Qualitätsaussagen getroffen. Daraus wird automatisiert abgeleitet, ob und in welchem Umfang ein Gussteil weiter bearbeitet werden muss. Ziel ist es, eventuell erforderliche Nacharbeitsschritte für Gussteile automatisiert zu erkennen.
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