Die BMW Group investiert an ihrem größten europäischen Produktionsstandort in Niederbayern rund 60 Millionen Euro in einen noch ressourcen- und energieeffizienteren Lackierprozess. Sie erzielt damit jährliche CO2 Einsparungen von mehreren tausend Tonnen und stellt weitere Weichen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Produktion.
Die Maßnahmen reichen von der Umrüstung weiterer Lackierlinien auf Trockenabscheidung und der Integration innovativer Wasseraufbereitung beim Aufbringen des Korrosionsschutzes über eine Stromerzeugung aus Restabwärme der Produktionsanlagen bis hin zum Probeeinsatz von Schutzfolien aus Recycling- oder Naturmaterialien. Ziel dieser Aktivitäten sind neben der signifikanten Reduzierung von CO2-Emissionen auch ein geringerer Lösemittel-Verbrauch sowie ein schonender Umgang mit der wertvollen Ressource Wasser.
In der Lackiererei des BMW Group Werks Dingolfing arbeiten knapp 1.200 Mitarbeiter und versehen arbeitstäglich etwa 1.600 Automobilkarosserien mit einer schützenden Hülle, Farbe und Glanz. Und obwohl die Dingolfinger Lackiererei zu den innovativsten der Welt zählt, fällt hier etwa ein Drittel des gesamten Energieverbrauchs des Werks an. Denn das Lackieren ist der energieintensivste Produktionsprozess im Fahrzeugbau. Umgekehrt heißt das: Das Energie- und Wassersparpotenzial ist hier besonders hoch. Bereits seit Jahren finden daher bei laufendem Betrieb umfassende Modernisierungen statt. Ein Meilenstein in puncto Nachhaltigkeit wurde etwa mit der Umstellung auf das innovative Lackierverfahren IPP (Integrated Paint Process) erzielt. Durch den Wegfall eines kompletten Prozessschritts auf den IPP-Decklackstraßen ließ sich der Energie- und Ressourcenverbrauch erheblich reduzieren. Insgesamt konnten durch eine Vielzahl von Maßnahmen im Zeitraum von 2006 bis 2020 bereits ca. 25 Prozent Wasser und ca. 60 Prozent Lösemittel eingespart werden. Der Energiebedarf konnte im genannten Zeitraum um zehn Prozent gesenkt werden.
Nun fließen weitere Millioneninvestitionen in die nachhaltige Umrüstung des Lackierprozesses am niederbayerischen Standort. „Damit tragen wir in der Dingolfinger Lackiererei unseren Teil dazu bei, dass die BMW Group Produktion ihrem Ziel, die CO2-Emissionen pro gefertigtem Fahrzeug bis 2030 um weitere 80 Prozent gegenüber 2019 zu reduzieren, immer näherkommt. Denn jedes eingesparte Gramm CO2 zählt“, sagt Bernd Gress, der im Januar 2022 die Leitung der Technologie Lackierte Karosserie im BMW Group Werk Dingolfing übernommen hat.
Umstellung auf umweltfreundliche Lackiersysteme
Einen großen Beitrag zur Nachhaltigkeit leistet die sukzessive Umstellung der Lackiererei von einem System der Nassauswaschung auf ein System zur Trockenabscheidung von Lackpartikeln. Dabei wird der Lack-Overspray, der in der Kabine nicht auf der Karosse landet, statt wie bislang mit Wasser jetzt mit Kalksteinmehl aufgefangen. Das reduziert den Wasserverbrauch deutlich. Ein weiterer großer Vorteil: Anders als das Verfahren mit Nassauswaschung kann die Trockenabscheidung zu 80 Prozent im Umluftbetrieb stattfinden. Dadurch müssen nicht mehr 100 Prozent, sondern nur noch 20 Prozent der Luft temperiert und befeuchtet werden, was eine hohe Energieeinsparung zur Folge hat. Zudem muss das genutzte Steinmehl nicht wie verunreinigtes Abwasser aufbereitet und entsorgt werden, sondern kann in den Wertstoffkreislauf zurückgeführt und beispielsweise in der Zementindustrie weiterverwendet werden.
Im letzten Jahr wurde die zweite von insgesamt vier Lackierlinien am Standort Dingolfing mit einer Trockenabscheidung ausgestattet. Die Umrüstung der dritten Linie folgt Mitte 2022, die der vierten voraussichtlich zum Jahreswechsel 2022/2023, sobald es die Fahrzeugproduktion zulässt. „Damit sind dann alle unsere Lackierlinien mit Trockenabscheidung ausgestattet. Durch diese Umstellung werden wir voraussichtlich über sechs Millionen Liter Wasser und circa 13.000 Megawattstunden Heizenergie pro Jahr einsparen“, erläutert Stefan Dorsch, der die Planung der neuen Anlagen verantwortet. Der jährliche CO2-Ausstoß wird sich nach Umstellung aller Anlagen insgesamt um mehr als 4.000 Tonnen reduzieren.
Ein weiterer Ansatz für ein nachhaltigeres Lackieren ist es, den Overspray, also die Menge an überschüssigen Lackpartikeln, zu reduzieren. Vielversprechend ist hier ein im BMW Group Werk Dingolfing pilotiertes Verfahren einer komplett oversprayfreien Lackiertechnologie. Für die individuelle Lackierung von BMW M4 Coupés kam diese Technik mittels präziser Strahlapplikation bereits erfolgreich zum Einsatz. Noch in diesem Jahr wird das in Dingolfing entwickelte Lackierverfahren im BMW Group Produktionsnetzwerk in Serie eingesetzt werden.
Auch bei den Lacken arbeitet die BMW Group daran, den CO2 Fußabdruck zu reduzieren. Bei der Herstellung der im Werk Dingolfing verwendeten Mattlacke beispielsweise werden erdölbasierte Vorprodukte durch nachwachsende Rohstoffe aus organischen Abfällen ersetzt.
Neue KTL-Anlage hilft, Wasser-Fußabdruck zu verkleinern
Wie bei vielen Produktionsprozessen ist Wasser auch beim Lackieren unverzichtbar. Unter anderem wird es für die Kathodische Tauchlackierung (KTL) gebraucht, durch die die Fahrzeuge ihre Grundierung für den Korrosionsschutz erhalten. Dabei werden die Karosserien in ein Becken getaucht, das mit einem Gemisch aus Wasser, Löse- und Bindemittel sowie Farb-Pigmenten gefüllt ist. Durch angelegte Spannung haftet das Gemisch beim Tauchvorgang an der Karosserie.
Im BMW Group Werk Dingolfing gibt es zwei solcher KTL-Linien, die auch aufgrund der größeren Abmessungen der Fahrzeuge momentan erneuert werden. Eine der neuen KTL-Linien ist bereits seit 2020 in Betrieb, die zweite geht dieses Jahres an den Start. Mit den neuen Linien zieht innovative Technik ein, durch die der Lackierprozess schneller und vor allem noch nachhaltiger wird. Denn dank hochmoderner Filtrationstechnik wird das Wasser dermaßen fein gereinigt, dass es in einem Kreislaufsystem wiederverwendet werden kann. Damit sinkt sowohl der Wasserverbrauch als auch das Abwasseraufkommen enorm. Insgesamt verringert sich der Wasserverbrauch durch die neue KTL-Anlage um 20 Prozent.
Strom aus Restabwärme gewinnen
Darüber hinaus ist eine Ausweitung der Wärmerückgewinnung in den Anlagen der Lackiererei geplant. Bereits jetzt wird Abwärme überall dort, wo sie entsteht, als Prozesswärme zurückgeführt, um keine Energie zu verschwenden. Bei Temperaturen von unter 180 Grad ist diese Rückführung bislang jedoch nicht wirtschaftlich möglich. Um nun auch solch geringe, dezentral an verschiedenen Stellen anfallende Restwärme nutzen zu können, startet noch in diesem Jahr ein weiteres Pilotprojekt. Dazu werden zunächst im Bereich von KTL- und Abdicht-Trockner Module installiert, die die Wärme nicht mehr als zurückgewonnene Prozesswärme nutzen, sondern über einen ORC-Prozess (Organic Rankine Circle) in Strom umwandeln. Insgesamt können dadurch jährlich voraussichtlich 1200 Megawattstunden Strom aus Abwärme ins Werkstromnetz eingespeist werden. Auch das verbessert die CO2-Bilanz, wie Stefan Dorsch erklärt: „Wir rechnen mit einer Einsparung von bis zu 1.000 Tonnen CO2 im Jahr.“ Bei erfolgreichem Test der Stromgewinnung aus Abwärme könnten schon bald weitere ORC-Wärmerückgewinnungsmodule folgen.
Recycling-Schutzfolien im Test
Doch nicht nur Maßnahmen zu Energieeinsparung und Ressourcenschonung im Produktionsprozess haben die Experten der Dingolfinger Lackiererei im Blick, wenn sie nach Möglichkeiten suchen, noch nachhaltiger zu werden. Ihr Bestreben, Lösungen zu finden, reicht bis in den Bereich der Reinigung der Anlagen. So wird derzeit gemeinsam mit dem Dienstleister für die Industriereinigung ISS nach einem nachhaltigen Ersatz für die aktuell genutzte Polyethylenfolie gesucht, die ausgelegt wird, um die Anlagen vor Lack, Wachs und PVC zu schützen. Pro Jahr werden etwa 300 Kilometer dieser Folie verlegt. Seit Oktober 2021 laufen Versuche, die PE-Folie entweder durch eine Folie, die zu 100 Prozent aus recycelter Altfolie besteht, oder durch Folie aus biologisch abbaubaren Rohstoffen wie etwa Kartoffelstärke zu ersetzen.
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